In der Tat stellte ich mir diese Frage, als ich zum ersten Mal von dem Bildband „Trachten“ von Gregor Hohenberg hörte. Und schon als ich nur oberflächlich darin blätterte, war mir klar: auf jeden Fall braucht man das Buch und ich muss dieses Buch haben. Und nun liegt er vor mir, dieser prächtige Fotoband – gefühlte fünf Kilo Buch reich bebildert und voller Informationen. Schon der Einführungstext von Tilman Prüfer ist ganz fantastisch und macht Lust auf mehr.
Wie kam es zu diesem Buch
Gregor Hohenberg und seine Frau beobachteten bei einem Sardinienurlaub eine Prozession, bei der die Leute, egal ob jung oder alte die lokale Tracht trugen. Beide waren so fasziniert von der anmutigen Schönheit, dass sie sich fragten, ob es so etwas auch in Deutschland gibt. Nach vielen Recherchen folgten fünf Jahre des Reisens: jeder Urlaub wurde in einer anderen Trachtenregion verbracht. So bereisten beide 22 unterschiedliche Regionen in Deutschland, um Menschen in ihren Trachten zu portraitieren. Sie reisten von Amrum bis zum Chiemsee, vom Spreewald bis nach Hessen.
Entstanden ist ein fulminanter Bildband, der einerseits die große Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Trachten zeigt, andererseits auch von der großen Handwerkskunst berichtet, die hinter der Tracht steht.
Die Macht der Tracht
Hohenberg, der eigentlich Modefotograf ist, präsentiert die Trachten in authentischer Umgebung. Getragen wir die Tracht von ihren Besitzern. So kann man nicht nur die traditionelle Kleidung betrachten, sondern sieht auch in die Gesichter der Region. So sehen die Bewohner der Region zu keiner Zeit verkleidet aus – im Gegenteil. Sie wirken auf ihre stille Art unwahrscheinlich edel und sogar glamourös.
Ich bin völlig begeistert von der Bildgewalt. Einmal zeigt Hohenberg die Tracht vor heimischer Kulisse, ein anderes Mal in der Landschaft und besonders eindrucksvoll sind die Bilder vor schwarzem Hintergrund. Ihnen haftet etwas Magisches an. Die Bilder sind vollkommen der Zeit entrückt und die Tracht steht für sich alleine. Von den Bildern geht eine unheimliche Spannung aus, der man sich nicht entziehen kann. Gerade die Bilder vor dem schwarzen Hintergrund erinnern mich an die Bildsprache von August Sanders. Als einem der Hauptvertreter der neuen Sachlichkeit in der Fotografie war sein Ziel, Dinge in ihrer Einfachheit und Schönheit dazustellen und aber gleichzeitig auch genug Abstand von Sujet zu haben, was in einer sehr nüchternen, zurückhaltenden Bildsprache gipfelte. Die Bilder haben eine derartige Anziehungskraft, der man sich nicht entziehen kann – ebenso ist es bei den Bildern von Hohenberg.
Trachten als ein Stück Heimat
Tracht ist nicht gleich Tracht – es gibt große regionale Unterschiede. 20 Kilometer Entfernung können da schon sehr viel ausmachen und eine Tracht ganz anders aussehen lassen. Diese stilistischen Unterschiede sind besonders schön in einer Zeit, in der doch jeder so individuell sein möchte und dann doch aber immer wieder gleich aussieht, seien es die Mädchen, die sich bei H&M kleiden oder dass sich der Hipster aus Berlin nicht von Hipster in New York unterscheidet. Eine Tracht ist ein wahres Stück Individualität und gleichzeitig ein Stück eigene Geschichte.
Die Tracht gibt den namenlosen Persönlichkeiten unheimlich viel Würde und Anmut und läßt sie in einer ganz besonderen Schönheit erstrahlen. Sie wirkt zu keiner Zeit aufgesetzt.
Natürlich ist die Tracht immer ein Stück Heimat: sie wurde aus Materialien hergestellt, die vor Ort hergestellt wurden, sie zeugt vom einheimischen Handwerk, von regionalen Besonderheiten – aber sie ist auch von der Ferne geprägt. So zum Beispiel bei der Amrumer Festtagstracht: der Silberschmuck, den portugiesische Seefahrer mit auf die Insel brachten, findet sich in der Tracht wieder. Die Tracht ist auch etwas, was immer wieder weiter entwickelt wurde. Sie ist nichts Starres und unterlag auch immer wieder modischen Einflüssen – so zum Beispiel der spanischen Hofmode.
Die Tracht steht für Anmut, für Schönheit, für Liebe, für Freiheit und vor allem auch für Herkunft – eine Herkunft auf die man stolz ist und diesen Stolz auch nach draußen trägt.
Was für ein Buch!
Zu diesem Buch gibt es keinen Vergleich, es steht vollkommen für sich alleine und ist in seiner Reichhaltigkeit einmalig. Viel zu lange hat es gedauert bis sich wieder jemand so ausführlich in Bild und Schrift der Tracht nähert. Für alle, die sich für Mode interessieren sollte dieses Buch zur Pflichtlektüre ernannt werden, für alle anderen ist es ein Buch, an dessen Bildern man sich immer wieder erfreuen kann, sich nie satt sehen kann und ständig neue Details entdeckt.
Unsere Spitze
Besonders groß war unsere Überraschung, eine unserer Spitzenborten im Buch zu entdecken. Unsere Plauener Spitze ist gleich auf mehreren Seiten an der sorbischen Tracht präsent.
Das ist für uns der Anlass mehr zu erfahren über die Verwendung unserer Plauener Spitze in den Trachten und auch über Trachten an sich. Natürlich werden wir im Blog von unserer Entdeckungsreise berichten. Seien Sie gespannt. Einen ersten Eindruck konnten Sie schon in dem Beitrag zum Spitzenfest 2015 bekommen
Das Buch Trachten mit den Fotografien von Gregor Hohenberg und dem Text von Tilman Prüfer ist im Gestalten Verlag erschienen und kostet 49,90 €.
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