Nicht nur Plauen ist bekannt für die Spitze. Auch die Region um Calais und Caudry in Nordfrankfreich blickt auf eine lange Tradition der Spitzenherstellung zurück. Im heutigen Blogbeitrag nehmen wir Sie mit auf einen Besuch ins Cité de la Dentelle et de la Mode – dem Spitzenmuseum von Calais.
Die französische Spitze hat ihre Wurzeln in England
Spitze war schon immer sehr beliebtes Luxusprodukt und gerade im 19. Jahrhundert stieg die Nachfrage nach Spitze extrem an. Handgefertigte Spitzen waren teuer und Herstellung aufwendig und langsam. Die gestiegene Nachfrage konnte nur durch effizientere Herstellungsmethoden gedeckt werden. 1808 entwickelte John Heatcoat in Nottingham die erste Bobinet-Wirk-Tüll-Maschine (Bobbin=Spule, Net=Netz, Tüll). Nun war man in der Lage, schnell und effizient Tüll zu wirken. Sein Landsmann Leaver entwickelte die Maschinen weiter. Dadurch war es möglich, auch einfache Muster in den Tüll einzuwirken.
Wenige Jahre später schmuggelten einige Engländer aufgrund der gestiegenen Zölle Leavers-Maschinen nach Frankreich. Dies war ein gefährliches Unterfangen, denn die Ausfuhr der Maschinen wurde sogar mit dem Tod bestraft. Die französischen Einfuhrzölle sollten verhindern, dass so viel Spitze von Franzosen in England gekauft wird.
Damals wie heute ist die Verbindung zwischen Dover und Calais über den Ärmelkanal die schnellste Möglichkeit, von England nach Frankreich zu kommen. So wurde Calais eher zufällig zum Spitzenzentrum – man lies sich einfach in der ersten Stadt in Frankreich nieder. Und das war Calais.
Calais wurde das Zentrum der Spitzenindustrie in Frankreich
Der wesentliche Schritt für die weitere Entwicklung der Spitzenindustrie war, dass man ab 1835 die englischen Leavers-Wirktüllmaschinen um eine Steuerung der von Jaquard in Lyon entwickelten Jaquard-Webstühlen verband. Jaquard gelang durch den Einsatz von Lochkarten-Steuerungen bei Webmaschinen, komplexe Musterungen direkt ins Gewebe zu bringen.
Die Lochkartensteuerung von Jaquard wurde nun auf die Leavers-Wirktüllmaschinen übertragen. Hierdurch war es nun erstmals möglich, es war nun erstmals möglich, statt einfacher Tüllmuster nun auch Tülle mit hoher Muster-Komplexität mechanisch zu fertigen. Die Spitzen ahmen die ursprünglich in Klöppelarbeit gefertigten Chantilly-Spitzen oder Valenciennes-Spitze nach.
Der Unterschied zur Plauener Spitze ist die Art der Herstellung – Plauener Spitze wird als Nadelspitze nach wie vor gestickt, französische Spitze wurde früher gewirkt (Bobinetwirkmaschine) und wird heute meist geraschelt (Raschelspitze).
Auch wenn heute die Bobinet-Wirkmaschinen durch Raschelmaschinen ersetzt werden, gibt es die eine oder andere funktionierende alte Maschine, die auch heute noch in der Produktion eingesetzt wird und auf traditionelle Weise Spitze produziert.
Zur Hochphase der Spitzenproduktion gab es in Calais über 300 Spitzenfirmen, in denen 40.000 Menschen beschäftigt waren. Heute produzieren im Gebiet von Calais und Caudry noch 11 Firmen die französischen Spitzen auf vorwiegend neuen Wirkmaschinen und Raschelmaschinen.
Cité de la Dentelle et de la Mode – das Spitzenmuseum in Calais
Die Geschichte der Spitze lässt sich sehr anschaulich im Cité de la Dentelle et de la Mode – dem Spitzenmuseum von Calais erleben. Das Spitzenmuseum verbindet auf perfekte Weise Tradition und Moderne.
Das Herzstück bildet dabei das ehemalige Boulard-Werk aus dem Jahr 1870. Ist ist eine alte Fabrikhalle, die typisch für die französische Spitzenindustrie war. In dieser Fabrik arbeiteten bis zu 40 unterschiedliche Firmen, die sich eine gemeinsame Infrastruktur teilten. So stand in der Mitte der Fabrik eine riesige Dampfmaschine für alle, deren Antiebsriemen bis in alle Etagen der Manufaktur reichten.
Natürlich wollte und musste man die Geheimnisse vor den Konkurrenten bewahren. So führten die Zugänge zu den Firmen nur über ein äußeres Gangsystem.
Ergänzt wird die alte Fabrik mit einem gläsernen Erweiterungsbau der Architekten Alain Moatti und Henrie Rivière, der wie ein großes Schaufenster für die Spitze wirkt. Die Glasfassade hat ein Muster aus den Lochkarten der Jaquard-Maschinen. Seit der Eröffnung 2009 entführt das Museum Besucher in die Welt der französischen Spitze.
Rundgang durch die Ausstellung
Auf 2.500 m² widmen sich im Cité de la Dentelle et de la Mode fünf Themenbereiche der Spitze und ihrer Geschichte.
Die Dauerausstellung beginnt mit der Geschichte der traditionellen Spitzenherstellung in den unterschiedlichen Gebieten in Europa. Handgefertigte Spitzen und Reproduktionen von Gemälden, die in Spitzenmuster integriert wurden, verdeutlichen die Anfänge.
In den nächsten Räumen wird die industrielle Entwicklung in Calais dokumentiert. Zahlreiche Exponate verdeutlichen die Spitzenproduktion in der nordfranzösischen Stadt. Von zahlreichen Musterbüchern bis hin zu Spitzen und einem Diorama zur Stadtentwicklung lässt sich die Verbindung der Spitze mit Calais anschaulich nachvollziehen.
Besonders interessant ist die Vorführung an den alten Spitzenmaschinen. Auch wenn die Erklärungen des „Tulliste“ – wie die Spitzenhersteller genannt werden, „nur“ in französisch sind, versteht man die Verfahrensweise der Maschinen ganz gut. Auch die darauf folgenden Räumen widmen sich den unterschiedlichen Schritten der Spitzenherstellung.
Die Dauerausstellung endet mit einem Einblick in die Spitzenmode des 20. und 21. Jahrhunderts. Hier wird anschaulich verdeutlicht, dass die Spitze immer ihren Platz in der Mode hatte und auch weiterhin haben wird. Sie hat nichts von ihrem ganz besonderen Reiz verloren.
Dass das Museum mehr als ein Museum, sondern ein großes Spitzenzentrum ist, wird in den letzten Räumen deutlich. Es gibt nicht nur eine sehr umfangreiche Bibliothek, sondern es gibt auch ein Dokumentationszentrum. Spezielle Angebote für Schulklassen, Kleidungsstücke zu entwerfen und sich pädagogisch dem Thema Spitze zu nähern, sind dabei nur ein Teil der Angebote.
Wechselnde Sonderausstellungen zum Thema Spitze in der Mode, wie die vergangenen Ausstellung über Balenciaga, Hubert de Givenchy oder aktuell über die Mode in der napoleonischen Zeit zwischen 1804 und 1814, ergänzen die Dauerausstellung.
Informationen zum Spitzenmuseum von Calais
- Cité de la Dentelle et de la Mode
- 135 Quai du Commerce, 62100 Calais, Frankreich
- Informationen zu den aktuellen Ausstellung und zu den Öffnungszeiten finden Sie auf der Homepage des Museums
- Mehr über die Sonderausstellung über das Lebenswerk von Hubert de Givenchy in Calais finden Sie in diesem Beitrag
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Der Beitrag ist super und das Museum bestimmt einen Besuch wert... Finde den Beitrag übers Museum in Calai echt Spitze! Der Beitrag ist sehr eingängig, gut strukturiert, angenehm zu lesen, perfekt im Umfang, angemessen bebildert. Leider wurde mir ein Ansehen der Filme verwehrt, da für meine Email kein Konto vorhanden sei. Wie ich dann trotzdem den Film schauen kann, indem ich zB ein Konto anlege, das wurde mir nicht erklärt, bzw. da gab es keinen Link. Das fand ich extrem enttäuschend!!! Liebe Trudi,Danke für Deine Rückmeldung. Das Video ist nur vor Ort in einem größeren Raum der Ausstellung des Museums in Caudry zu sehen und wird dort ca. stündlich gezeigt. Der Film ist also nicht im Blogbeitrag zu sehen. Da hilft nur ein Besuch in Caudry :) toller Beitrag über das Museum - sehr interessant!
Auch wenn Raschel und Wirk maschinen mit Jacquard einrichtung nicht zu meinen Lielibngs Vorlesungen gehört, klingt das Museum echt spannend! Ich hab großen Respekt vor Textilern, die sich mit der Herstellung von komplexer Spitze befassen. Tolle Bilder, so ein paar alte Maschinchen stehen auch bei uns an der Hochschule rum
LIebe Grüße
Franziska
Liebe Franziska,
vielen Dank für deinen lieben Kommentar. An welcher Hochschule studierst du denn?
Liebe Grüße
Manja